unbekannter Hersteller - Kinderwagen aus Österreich (50er Jahre)


Wien entwickelte sich in den 1870er Jahren zu einem Zentrum der industriellen Kinderwagenproduktion

Zu einem Boom im Kinderwagenbau kam es hier nach der im Prater abgehaltenen Wiener Weltausstellung von 1873, einer Wirtschafts-, und Industrieausstellung, auf der die teilnehmenden Nationen ihre Errungenschaften und Produkte präsentierten. Auch frühe Kinderwagenproduzenten aus England und Deutschland stellten ihre Waren aus. Davon inspiriert begannen nun auch österreichische Korbmacherbetriebe in größerem Umfang Kinderwagen zu bauen. Stubenwagen hatten sie auch vorher schon gebaut. Kinderwagen zum Schieben für eine Spazierfahrt außer Haus wurden in Österreich aber erst nach der Weltausstellung wirklich populär, nachdem man von Charles Burtons Perambulator (dreirädriger Kinderwagen für Kleinkinder) und Ernst Albert Naethers Kinderwagen für Säuglinge erfahren hatte. Charles Burton baute Mitte des 19. Jahrhunderts in London die erste Kinderwagenfabrik der Welt und Ernst Albert Naether baute wenig später die ersten Kinderwagen für Säuglinge. Zu den Korbmachereien in Wien, die Kinderwagen fertigten, zählten auch viele jüdische Betriebe. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich viele Juden aus dem Osten in Wien angesiedelt, denn damals kam es im wirtschaftlich unterentwickelten und sehr armen Galizien immer öfter zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung. Letztendlich blieb ihnen damals nur die Flucht nach Amerika oder nach Österreich, das nach der Revolution 1848 und dem Toleranzpatent von 1867 alle Religionen als vor dem Staat gleich anerkannte. Da Amerika für viele zu weit weg war, bot vor allem das nahe Wien eine Zuflucht. Unter den Flüchtlingen waren damals auch galizische Korbmacher, die in Wien ein Geschäft aufbauten und später auch Kinderwagen herstellten, so wie etwa der erfolgreiche Kinderwagenhersteller Lumag.

In Wien existierten um 1900 bereits gut 80 Betriebe, die neben anderen Korbwaren, auch Kinderwagen serienmäßig herstellten

Durch die Weltausstellung in Wien hatte sich auch die von England, dem Vorreiter der Industrialisierung, ausgehende Erkenntnis verbreitet, dass frische Luft und Sonne der damals enorm hohen Säuglingssterblichkeit durch Tuberkulose und Rachitis entgegen gewirkt werden konnte, wenn man die Kleinen im Kinderwagen spazieren fuhr. Außerdem gab es dank der Industrialisierung immer mehr gepflasterte Straßen, auf denen man Kinderwagen selbst bei feuchter Witterung gut bewegen konnte.

Der abgebildete Kinderwagen aus den 50er Jahren war geprägt vom Automobildesign der damaligen Zeit

Der wie damals üblich niedrig gebaute und mit kleinen Rädern bestückte Kinderwagen besaß eine vom Automobildesign inspirierte, pontonartige Formgebung und etlichen weitere Accessoires, die an den Automobilbau erinnerten. So verfügte er über dicke in den Wagenkörper integrierte Kotflügel, kleine Scheibenräder, eine Verdeckführung wie bei einem Cabriolets-Verdeck, eine verchromte Stoßstange und verchromte Zierleisten nicht nur an den Seiten des Wagenkörpers, sondern auch entlang der Kanten, so dass sie auch als umlaufender Kantenschutz dienten. Insgesamt war der Wagen elegant geformt und hochwertig gearbeitet.

Fotos & Text: Marina Block

Bilder

Informationen:

Markeunbekannter Hersteller
ModelKinderwagen aus Österreich
Baujahr50er Jahre

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