Besonders leichte Kinderwagen für Kleinkinder, die in Stockform zusammenklappbar waren, gab es nicht erst seit den 50er und 60er Jahren, sondern weit früher. In den 20er und 30er Jahren bewarb etwa die Firma Herlag ihre wie einen Stockregenschirm zusammenziehbaren Sportwagen als Wochenend,- und Reisewagen
Nicht erst der Flugzeugkonstrukteur Owen Finley MacLaren (Entwickler des Spitfire-Fahrwerks) kam nach einem einschneidenden Erlebnis mit dem unhandlichen Kinderwagen seines Enkelkindes auf die Idee, besonders leichte und einfach zu handhabende Kinderwagen zu bauen. Zwar waren seine ab 1965 bald als Buggys bekannten Falt-Kinderwagen weiter entwickelt und optimiert. Außerdem bestanden sie aus noch leichteren Materialien und waren mit kleineren Rädern bestückt als die Reisewagen von einst. Das Grundprinzip aber war ähnlich. Denn bereits in den 20er Jahren bot etwa die Firma Herlag einen für damalige Verhältnisse superleichten Reisewagen an, der sich über einen Scherenmechanismus in Stockform zusammen schieben ließ und dann hinterher gezogen werden konnte. Gepriesen wurde seine leichte Handhabung, das geringe Gewicht und der Komfort, den der Wagen für das Kind dennoch bot. So besaß der Wagen eine ledergepolsterte und verstellbare Rückenlehne, einen ledergepolsterten Sitz, eine verstellbare Fußstütze und Armlehnen. Und gerade hier offenbart sich ein großer Unterschied zu den Buggys von MacLaren, denn der Wochenendwagen war weit bequemer für das Kind und für die schiebende Person. Beim extremen Leichtbau des Buggys ging nämlich der Komfort verloren. Ein Buggy war optimal für gut asphaltierte Wegstrecken und nicht allzu lange Etappen. Der Wochenendwagen von Herlag hingegen lud durchaus zu einer längeren Verweildauer ein. Aufstellen ließ sich der mit einem weiß lackierten Eisengestell bestückte Reise und Wochenendwagen durch ein Anheben des Schiebers. Zusammenlegen konnte man ihn, indem man die Armlehnen anhob. Anfang der 30er Jahre brachte Herlag überarbeitete Modelle heraus, die nur noch 7,6 kg wogen und durch den Einsatz von Lederschutzgurten und Karabinerhaken sowie weiß lackierten Stahlrohrschiebern weniger Holz enthielten als die alten Versionen.
Gegründet wurde die spätere Herlag Holzwarenfabrik 1883 als ursprünglicher Sägewerksbetrieb von Hermann Löwenherz in Lauenförde. In den 1880er Jahren belieferte Löwenherz unter anderem die erste und lange Zeit auch größte Kinderwagenfabrik Deutschlands von Ernst Albert Naether mit Holz. Inspiriert von Naethers Unternehmen begann Hermann Löwenherz 1888 selbst mit der Fertigung von Gartenmöbeln und Kindermöbeln
Nach seinem Tod und darauf folgenden Erbstreitigkeiten ging das Werk 1930 an Erich Rose über und wurde 1931 in „Herlag AG“ umbenannt. 1938 versuchte Erich Rose den Betrieb zu verkaufen, um der drohenden Enteignung jüdischen Besitzes zu entgehen. Letztendlich kauften der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Hoffmann und die Sekretärin den Betrieb unter Wert auf. Die Familie Rose ging in die Niederlande und die USA. Nach dem Krieg leistete Hoffmann auf Einklagung der Roses eine Ausgleichszahlung. Im Krieg wurde Herlag zu einem „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“ und fertigte Güter für das Militär wie Munitionskisten, Hocker, Waschhocker, Bestuhlungen, aber auch anderweitige Produkte wie Muttern für Flugzeuge etc.
Anfang der 50er Jahre blühte das Geschäft mit Gartenmöbeln, Kindermöbeln und Kinderwagen derartig auf, dass Herlag größere Produktionsflächen suchte und in Beverungen fand
Dort entstanden unter anderem Kinderbetten, Kinderhochstühle, Puppenwagen, Kinderwagen, Kinder-Sportwagen, Schaukelstühle, Gartenmöbel und Leitern. Ab 1957 wurden auch Stahlrohrgartenmöbel ins Programm aufgenommen. Die Kinderwagen von Herlag zeichneten sich durch eine solide Verarbeitung und eine gute Handhabbarkeit aus.
Die vor allem für ihre Ket-Cars bekannte Firma Kettler übernimmt Herlag
Heinz Kettler kaufte 1969 die Hauptanteile an Herlag und übernahm das Unternehmen dann 1978 vollständig. 1985 stellte die Herlag Holzwarenfabrik ihre Produktion in Beverungen ein. Die Fertigung einiger Produkte wurde an die neu gegründete BMF Beverungen Metallwarenfabrik übergeben, wozu allerdings keine Kinderwagen zählten.
Fotos & Text: Marina Block