Die vier Söhne des seit 1835 in Brandenburg an der Havel ansässigen Korbmachermeisters Eduard Reichstein gründeten 1871 das Unternehmen Gebrüder Reichstein, das Kinderwagen herstellte und ab 1892 unter dem Namen „Brennabor“ firmierte. Brennabor baute nicht nur Kinderwagen, sondern schon bald auch Fahrräder, Motorräder und Automobile. Von 1923 bis 1925 avancierte Brennabor sogar dank der Einführung der Fließbandproduktion (Brennabor war der erste deutsche Hersteller, der das Fließband einführte) zum größten Autoproduzenten Deutschlands. Er war auch einer der ersten, der neben größeren Modellen auch ganz bewußt Kleinwagen in größerer Menge herstellte. Auch für den Sport hatte das Unternehmen viel übrig und gründete sehr früh einen eigenen Rennstall
Stubenwagen für Babies hatte schon ihr Vater hergestellt. Ihre ersten Kinderwagen fertigten die vier Brüder, die allesamt Korbmacher wie ihr Vater waren, 1869 noch nicht komplett selbst, sondern bauten erst einmal nur die Aufbauten aus Korb. Das Fahrwerk aus Metall ließen sie bei einem benachbarter Schlosser fertigen. Nach einigen 100 Exemplaren wurde der Bau wegen des Deutsch-Französischen Krieges erst einmal eingestellt. Eine industrielle Fertigung begannen die Brüder dann ab 1871. Nun wurden die Kinderwagen komplett von ihnen hergestellt. Ihr Ziel war es, zweckmäßige, schöne und erschwingliche Kinderwagen in großer Zahl zu bauen. Das abgebildete Exemplar von 1890 zeigt einen gut gearbeiteten Wagen mit großen Drahtspeichenrädern, schwungvoll geformtem Griff und eingelassenem Ablagefach für einen „heißen Stein“.
Weltweit bekannt und gefragt wurden die Kinderwagen der Reichsteins nach der Weltausstellung in Wien 1873
Bei dieser frühen Ausstellung industrieller Produkte war alles, was Rang und Namen im industriellen, technischen und wissenschaftlichen Bereich hatte, vertreten. Für ihre Kinderwagen errangen die Brüder in Wien die höchste Auszeichnung für industrielle Erzeugnisse. Damit waren sie auf einen Schlag weltweit bekannt und im Gespräch, so dass sie ihre Kinderwagen schon bald dank der Nachfrage auch in andere Länder exportieren konnten. Später gingen ihre Produkte nicht nur nach ganz Europa, sondern auch nach Australien, Südamerika, die USA und China. Bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts verkaufte Brennabor jährlich über 300000 Kinder,- und Puppenwagen und zählte damit zu einem der größten Hersteller Europas. Auch lagen viele Patente in diesem Bereich bei Brennabor, so etwa der Klappkinderwagen von 1914 oder die „Öl-losen“ Lager von 1935.
Die Existenz von Kinderwagen hat eine lange Geschichte und kann bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden
Anfangs wurden Kleinkinder mit einigen Ausnahmen aus den Kreisen des Adels vor allem in Ziehwägelchen mit Korbaufbau transportiert. Derartige Ausführungen aus dichtem Korbgeflecht und Holz waren bereits im 16. und 17. Jahrhundert bekannt, wenn auch sehr selten, denn die meisten Menschen waren arm und transportierten ihre Kleinkinder in Tüchern oder, wenn schon auf Rädern, dann im Schubkarren. Speziell für den Transport von Kleinkindern entwickelte, aber doch relativ einfach konstruierte Wagen waren zu dieser Zeit dem wohlhabenden Bürgertum vorbehalten. Weit aufwändigere Konstruktionen, die vom Kutschenbau inspiriert waren und mit viel Metall und dekorativen Korbverzierungen auskamen, gab es häufiger in Adelskreisen des 18. Jahrhunderts. Hier hatte man auch an die Bequemlichkeit gedacht und große Räder sowie lange Deichseln verwendet, so dass die Kinderwagen eine angenehme Höhe erreichten. Für den Adel wurden auch die ersten, fast schon sportlich und leichtgängig wirkenden Konstruktionen mit Schiebevorrichtung gebaut, wie etwa bei einem für die Kinder des Duke of Devonshire gebauten Kinderwagen von 1730. Früh entstanden auch schon Kinderwagen für den Adel, die ein Kummet besaßen und von Kleintieren gezogen wurden. Einen echten Durchbruch im Kinderwagenbau gab es dann Mitte des 19. Jahrhunderts, als Charles Burton in London die erste Kinderwagenfabrik baute. Allerdings stellte er damals dreirädrige Wagen her, die er Perambulatoren nannte und in denen die Kleinkinder, ähnlich wie heute in den dreirädrigen Sportwagen, in Fahrtrichtung saßen. Für Babys waren diese Fahrzeuge allerdings nicht konstruiert. Mit vierrädrigen Gefährten, die für Babys geeignet waren, über einen Korb mit Verdeck verfügten und anfangs zum ziehen aber bald auch zum schieben waren, kam als erster der Zeitzer Stellmacher Ernst Albert Naether heraus. Kinderwagen mit kleinen Rädern und langen Schubvorrichtungen gab es ab den späten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Gebaut wurden sie bis in die späten 50er Jahre hinein, wobei man sich ab der 30er aber vor allem in den 40er und 50er Jahren immer stärker am Automobildesign orientierte und die Kinderwagen zudem auch technisch weiter entwickelte und ihnen bequeme Federungssysteme gönnte.
Zur Zeit der Weltwirtschaftkrise änderte sich vieles bei Brennabor
Aus finanziellen Gründen verursacht durch die Weltwirtschaftskrise, eine immer größer werdende Konkurrenz und einige Fehlentscheidungen musste das stark angewachsene Unternehmen 1931 Insolvenz anmelden und wurde 1932 in die Brennabor Aktiengesellschaft umfirmiert. Bis etwa 1934 wurden noch Automobile gebaut, danach bis 1940 nur noch Fahrräder, Kinderwagen und Leichtmotorräder mit Fichtel & Sachs Einbaumotoren. Während des Krieges war Brennabor ein Rüstungsbetrieb mit sehr vielen Zwangsarbeitern aus ganz Europa. Nach dem Krieg wurde das Unternehmen enteignet und die noch verwertbaren Anlagen als Reparationsleistung demontiert.
Fotos & Text: Marina Block