Das Städtchen Zeitz in Sachsen-Anhalt beherbergte in der Frühzeit des Kinderwagenbaus die meisten Hersteller von Kinderwagen in Deutschland. Einer der ersten deutschen Kinderwagenproduzenten war der von der englischen Kinderwagenindustrie inspirierte Zeitzer Ernst Albert Naether, der sein Unternehmen 1846 gründete. Bald darauf kam es in Zeitz zu einem regelrechten Boom an Kinderwagenproduzenten. 1875 machten schon 13 Zeitzer Hersteller von sich Reden, zu denen ab 1880 die Firma Opel & Kühne stieß
Wie die anderen Zeitzer Kindenwagenbauer belieferte auch Opel bald Kunden über die Grenzen hinaus mit seinen Produkten. Zwar offerierten Opel & Kühne, die übrigens nichts mit Opel in Rüsselsheim zu tun hatten, kein so großes Angebot wie die Firma Naether, die bereits 1896 gut 100 verschiedene Kinderwagen-Modelle in einem Musterbuch anbot. Doch auch die Produkte von Opel konnten sich sehen lassen, schließlich zählte Opel nach Naether und den Phoenix-Werken von Wünsch & Pretzsch bald zu den richtig Großen dieser Branche in Zeitz. 1928 wurde das Unternehmen von Willi und Kurt Opel in eine Kommandit-Gesellschaft umgewandelt, geriet während der Wirtschaftskrise in finanzielle Nöte und wurde 1933 als Aktiengesellschaft neu formiert, wobei die Opels den Vorsitz an einen Nazi verloren. Als Handlesreisender holte Willi Opel dann in den 30er Jahren viele neue Aufträge für das Unternehmen herein, so dass die Firma ab Mitte der 30er Jahre wieder einen großen Anstieg der Exportgeschäfte verzeichnen konnte. Kinderwagen und Holzprodukte von Opel gingen nach Tel Aviv, Buenos Aires, Teheran und andere Orte weltweit. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg wurden Opel & Kühne sowie Naether und andere Zeitzer Kinderwagen-Hersteller zur VEB Zekiwa zusammengelegt.
Die Kinderwagen und Holzwaren-Fabrik Opel & Kühne hatte ein breites Sortiment zu bieten
So wurden nicht nur Kinderwagen und Puppenwagen gebaut, sondern auch Liegestühle, Gartenmöbel, lenkbare Schlitten, Kindermöbel, Kinderroller, Kinderdreiräder, Kinderautos und andere Holzartikel. Neben den Kinderwagen fanden vor allem die lenkbaren Rodelschlitten, die für die weltweit Besten gehalten wurden, einen großen Absatz.
Die Existenz von Kinderwagen hat eine lange Geschichte und kann bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden
Anfangs wurden Kleinkinder mit einigen Ausnahmen aus den Kreisen des Adels vor allem in Ziehwägelchen mit Korbaufbau transportiert. Derartige Ausführungen aus dichtem Korbgeflecht und Holz waren bereits im 16. und 17. Jahrhundert bekannt, wenn auch sehr selten, denn die meisten Menschen waren arm und transportierten ihre Kleinkinder in Tüchern oder, wenn schon auf Rädern, dann im Schubkarren. Speziell für den Transport von Kleinkindern entwickelte, aber doch einfach konstruierte Wagen waren zu dieser Zeit dem wohlhabenden Bürgertum vorbehalten. Weit aufwändigere Konstruktionen, die vom Kutschenbau inspiriert waren und mit viel Metall und dekorativen Korbverzierungen auskamen, gab es gelegentlich in Adelskreisen des 18. Jahrhunderts. Hier hatte man auch an die Bequemlichkeit gedacht und große Räder sowie lange Deichseln verwendet, so dass die Kinderwagen eine angenehme Höhe erreichten. Für den Adel wurden auch die ersten, fast schon sportlich und leichtgängig wirkenden Konstruktionen mit Schiebevorrichtung gebaut, wie etwa bei einem für die Kinder des Duke of Devonshire gebauten Kinderwagen von 1730. Früh entstanden auch schon Kinderwagen für den Adel, die ein Kummet besaßen und von Kleintieren gezogen wurden. Einen echten Durchbruch im Kinderwagenbau gab es dann Mitte des 19. Jahrhunderts, als Charles Burton in London die erste Kinderwagenfabrik baute. Allerdings stellte er damals dreirädrige Wagen her, die er Perambulatoren nannte und in denen die Kleinkinder, ähnlich wie heute in den dreirädrigen Sportwagen, in Fahrtrichtung saßen. Für Babys waren diese Fahrzeuge nicht konstruiert. Mit vierrädrigen Gefährten, die für Babys geeignet waren, über einen Korb mit Verdeck verfügten und anfangs zum ziehen aber bald auch zum schieben waren, kam als erster der Zeitzer Stellmacher Ernst Albert Naether heraus. Kinderwagen mit kleinen Rädern und langen Schubvorrichtungen gab es ab den späten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Gebaut wurden sie bis in die späten 50er Jahre hinein, wobei man sich ab der 30er aber vor allem in den 40er und 50er Jahren immer stärker am Automobildesign orientierte und die Kinderwagen zudem auch technisch weiter entwickelte und ihnen bequeme Federungssysteme gönnte.
Die Verkaufsschlager bei Opel & Kühne waren in den 30er Jahren die „Opelinos“ und die Faltwagen
Opelinos waren niedrig gebaute Sportwagen mit kleiner Fußstütze und verstellbarer Rückenlehne. Gedacht waren sie für Kleinkinder, die schon sitzen konnten. Die Faltwagen waren hingegen auf die Bedürfnisse von Babies ausgelegt. Der Wagenkörper aus Peddigrohr oder aus mit lackiertem Vulkanfiber (früher Kunststoff) überzogener Presspappe konnte abgenommen und als Tragetasche verwendet werden. Das gefederte Fahrwerk mit Drahtspeichenrädern ließ sich für einen bequemen Transport zusammenklappen. Neu waren Faltwagen auch in den 30er Jahren schon nicht mehr, denn diese Art von Kinderwagen kamen als erstes bereits um die Jahrhundertwende auf, als das Reisen mit der Eisenbahn zumindest für den begüterteren Teil der Gesellschaft Mode wurde. Bekannt wurden diese Wagen als „Eisenbahn-Wochenendwagen“. Hier zu sehen ist ein Faltwagen von 1936.
Fotos & Text: Marina Block