Einer der ersten deutschen Kinderwagenproduzenten war Ernst Albert Naether aus Zeitz in Sachsen-Anhalt, der sein Unternehmen 1846 gründete. In Zeitz kam es daraufhin, inspiriert von der englischen Kinderwagenindustrie, zu einem regelrechten Boom an Kinderwagenproduzenten. 1875 machten schon 13 Zeitzer Hersteller von sich Reden
Die Stadt entwickelte sich zu einer regelrechten Hochburg an Kinderwagenbauern, die bald Kunden auch über die Grenzen hinaus belieferten. Der größte Kinderwagenproduzent, die Firma Naether bot bereits 1896 gut 100 verschiedene Kinderwagen-Modelle in einem Musterbuch an.
Nach dem zweiten Weltkrieg entstand unter der Regie des neuen Regimes in der ehemaligen Zeitzer Naether-Fabrik die VEB Zekiwa (Volkseigener Betrieb Zeitzer Kinderwagenindustrie) als Zusammenschluss der früher eigenständigen Zeitzer Hersteller
Zekiwa-Kinderwagen wurden in den kompletten RGW-Raum (alle sozialistische Staaten) und auch nach Westdeutschland (Neckermann vertrieb die Kinderwagen ohne Firmenlogo) sowie andere europäische Länder exportiert und avancierten zu einem wichtigen Devisenbringer der DDR. Die VEB Zekiwa entwickelte sich sogar zum zeitweise größten Kinderwagenhersteller Europas, der in seinen besten Zeiten jährlich 450000 Kinderwagen und 150000 Puppenwagen fertigte. Der Betrieb existierte bis 1998 und wurde dann abgewickelt.
Die Existenz von Kinderwagen hat eine lange Geschichte und kann bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden
Anfangs wurden Kleinkinder mit einigen Ausnahmen aus den Kreisen des Adels vor allem in Ziehwägelchen mit Korbaufbau transportiert. Derartige Ausführungen aus dichtem Korbgeflecht und Holz waren bereits im 16. und 17. Jahrhundert bekannt, wenn auch sehr selten, denn die meisten Menschen waren arm und transportierten ihre Kleinkinder in Tüchern oder, wenn schon auf Rädern, dann im Schubkarren. Speziell für den Transport von Kleinkindern entwickelte, aber doch relativ einfach konstruierte Wagen waren zu dieser Zeit dem wohlhabenden Bürgertum vorbehalten. Weit aufwändigere Konstruktionen, die vom Kutschenbau inspiriert waren und mit viel Metall und dekorativen Korbverzierungen auskamen, gab es häufiger in Adelskreisen des 18. Jahrhunderts. Hier hatte man auch an die Bequemlichkeit gedacht und große Räder sowie lange Deichseln verwendet, so dass die Kinderwagen eine angenehme Höhe erreichten. Für den Adel wurden auch die ersten, fast schon sportlich und leichtgängig wirkenden Konstruktionen mit Schiebevorrichtung gebaut, wie etwa bei einem für die Kinder des Duke of Devonshire gebauten Kinderwagen von 1730. Früh entstanden auch schon Kinderwagen für den Adel, die ein Kummet besaßen und von Kleintieren gezogen wurden. Einen echten Durchbruch im Kinderwagenbau gab es dann Mitte des 19. Jahrhunderts, als Charles Burton in London die erste Kinderwagenfabrik baute. Allerdings stellte er damals dreirädrige Wagen her, die er Perambulatoren nannte und in denen die Kleinkinder, ähnlich wie heute in den dreirädrigen Sportwagen, in Fahrtrichtung saßen. Für Babys waren diese Fahrzeuge allerdings nicht konstruiert. Mit vierrädrigen Gefährten, die für Babys geeignet waren, über einen Korb mit Verdeck verfügten und anfangs zum ziehen aber bald auch zum schieben waren, kam als erster der Zeitzer Stellmacher Ernst Albert Naether heraus. Kinderwagen mit kleinen Rädern und langen Schubvorrichtungen gab es ab den späten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Gebaut wurden sie bis in die späten 50er Jahre hinein, wobei man sich ab der 30er aber vor allem in den 40er und 50er Jahren immer stärker am Automobildesign orientierte und die Kinderwagen zudem auch technisch weiter entwickelte und ihnen bequeme Federungssysteme gönnte.
In den 60er Jahren wurden die Kinderwagen komfortabler und funktioneller, bauten höher, besaßen größere Räder, ließen sich leichter handhaben und praktisch zusammenfalten
Diese Tendenz zeigte sich auch am Zekiwa-Kinderwagen von 1960, der über große Räder mit Vollgummibereifung und grazilen Kotflügeln, einen Scherenklappmechanismus und eine hoch liegende und abnehmbare Baby-Wanne aus Kunststoff verfügte. Ein abklappbares Verdeck und ein Regenschutz mit Sichtfenster waren ebenfalls vorhanden. Auch die windschnittigere Form des Korpus, die den Kinderwagen leichter und eleganter wirken ließ, sowie die chice Zweifarben-Gestaltung waren Zeichen einer neuen Designsprache.
Fotos & Text: Marina Block