Kinder und Puppenwagen stellte das Familienunternehmen Heinrichmaier & Wünsch bereits im 19. Jahrhundert in Rothenburg ob der Tauber her
Unter dem Markennamen Bavaria wurden hier qualitativ hochwertige Kinderwagen im Stil der jeweiligen Zeitepoche gebaut. Anfangs waren die Kinderwagen noch hoch gebaut und besaßen große Metallräder. In den 20er und 30er Jahren änderte sich der Baustil völlig und es kamen niedrige Kinderwagen mit kleinen Rädern, die mit einem Gummibelag versehen waren auf. Diese Kinderwagen waren zum bequemen Schieben mit einer langen Schubvorrichtung ausgestattet und besaßen außerdem oft schon eine Abfederung des Wagenkörpers. Schon damals gab es Bavaria-Kinderwagen, deren Körper aus geflochtenem Peddigrohr geformt waren. Diese korbähnlichen Gebilde mit Verdeck ließen sich zum Teil auch vom Untergestell abmontieren.
Die Existenz von Kinderwagen ist vielleicht nicht ganz so alt, wie die Erfindung des Rades, geht aber doch bis in die Zeit der Aufklärung zurück, als sich auch der Status der Kindheit zu wandeln begann
Anfangs waren mit einigen Ausnahmen aus den Kreisen des Adels vor allem Ziehwägelchen nach der Art eines Bollerwagens, nur mit überdachtem und auch ansprechender gestaltetem Aufbau gängig. Derartige Ausführungen aus dichtem Korbgeflecht und Holz stammen oft aus dem 17. Jahrhundert. Weit aufwändigere Konstruktionen, die vom Kutschenbau inspiriert waren und mit viel Metall und dekorativen Korbverzierungen auskamen, gab es häufiger in Adelskreisen des 18. Jahrhunderts. Hier hatte man oft auch an die Bequemlichkeit gedacht und große Räder sowie lange Deichseln verwendet, so dass die Kinderwagen eine angenehme Höhe erreichten. Für den Adel wurden auch die ersten, fast schon sportlich und leichtgängig wirkenden Konstruktionen mit Schiebevorrichtung gebaut, wie etwa bei einem für die Kinder des Duke of Devonshire gebauten Kinderwagen von 1730. Kinderwagen mit kleinen Rädern und langen Schubvorrichtungen kamen in den 20er Jahren auf und wurden bis in die späten 50er Jahre hinein gebaut, wobei man sich in den 40er und 50er Jahren immer stärker am Automobildesign orientierte und die Kinderwagen zudem auch technisch weiter entwickelte und ihnen bequeme Federungssysteme gönnte.
In Deutschland gab es mehrere Zentren des Kinderwagenbaus
Im sächsischen Städtchen Zeitz kam es bereits im 19. Jahrhundert, inspiriert von der englischen Kinderwagenindustrie, zu einem regelrechten Boom an Kinderwagenproduzenten. Bereits 1875 existierten dort 13 Hersteller. Die Stadt in Sachsen-Anhalt entwickelte sich zu einer regelrechten Hochburg an Kinderwagenbauern und belieferte bald Kunden auch über die Grenzen hinaus. Das Angebot war riesig. Naether, der erste und größte Kinderwagenproduzent dieser Region, bot 1896 in seinem Katalog schon gut 100 verschiedene Modelle an. Ein zweiter früher Standort der Kinderwagenindustrie war Rothenburg ob der Tauber. Hier baute die Firma Heinrichmaier & Wünsch ebenfalls seit dem späten 19. Jahrhundert Kinderwagen, Puppenwagen und Kindermöbel. Vor allem ab der späten 20er Jahre wurde das Angebot immens ausgeweitet. Neben den unter dem Markennamen Bavaria vermarkteten Kinder,- und Puppenwagen wurden Krankenfahrstühle, Zwillingswagen, Kinderstühle, Kinderbetten, Laufställe, Liegestühle, Schiffs,- und Feldstühle, Sulkys, Kastenwagen und etliches Holzspielzeug hergestellt.
Ein zweiter großer Kinderwagenhersteller aus Rothenburg war die Firma Haag und Saalmüller, kurz HASA genannt.
Der Trend zum niedrig gebauten Kinderwagen setzte sich in den 40er und auch 50er Jahren fort. Auffällig war auch der enge Bezug zum Automobildesign in jener Zeit
War es einst der Kutschenbau, der einen Anhaltspunkt für den Kinderwagenbau bot, so wirkte in den späten 40er und 50er Jahren der Automobil,- und Motorradbau inspirierend. So kamen Schutzbleche für die Räder, verchromte Stoßstangen, Scheibenräder, Verdeckführungen wie beim Cabriolets-Verdeck und etliche andere automobile Details in Mode. Vor allem verchromte Elemente, geschwungen barocke Linien oder die Pontonform spielten in den 50er Jahren, wie beim Automobil, eine wichtige Rolle. Der Wagenkörper des Bavaria von 1947 war bauchig geformt sowie tief gelagert, wirkte aber dennoch elegant. Er besaß vollverkleidete kleine Räder, was ein wenig an das Design eines zeitgenössischen Jaguar XK 120 erinnerte. Der Wagenkörper mit seinen vollverkleideten Rädern bestand wie eine frühe Karosserie aus einer Kombination von Holzgerippe und Stahlblech. Eine Stahlfederkonstruktion, die den Wagenkörper abfederte, sorgte für einen angenehmen Fahrkomfort des Kleinkindes. Elegant wirkte am Bavaria auch das Verdeck aus Kunstleder, das mit einer geschwungen geformten Klappvorrichtung versehen war.
Fotos & Text: Marina Block