Schlossermeister Degelow und Stellmacher Ernst Albin Naether begründeten die Zeitzer Kinderwagenindustrie Mitte des 19. Jahrhunderts
Im sächsischen Städtchen Zeitz kam es in der Folgezeit zu einem regelrechten Boom an Kinderwagenproduzenten. Bereits 1875 existierten dort 13 Hersteller, darunter auch die Marke Saxonia. Die Stadt in Sachsen-Anhalt entwickelte sich zu einer regelrechten Hochburg an Kinderwagenbauern und belieferte bald Kunden auch über die Grenzen hinaus. Das Angebot war riesig. Naether etwa bot 1896 in seinem Katalog gut 100 verschiedene Modelle an.
Im 19. Jahrhundert mussten Kinderwagen mancherorts Nummernschilder tragen
Es ist skurril, aber wahr: so stellte eine Polizeiverordnung aus Naumburg 1897 nicht-beschilderte Kinderwagen unter Strafe. Sogar Gefängnis drohte, falls man die Geldstrafe nicht bezahlen konnte.
Die Existenz von Kinderwagen ist vielleicht nicht ganz so alt, wie die Erfindung des Rades, geht aber doch bis in die Zeit der Aufklärung zurück, als sich auch der Status der Kindheit zu wandeln begann
Anfangs waren mit einigen Ausnahmen aus den Kreisen des Adels vor allem Ziehwägelchen nach der Art eines Bollerwagens, nur mit überdachtem und auch ansprechender gestaltetem Aufbau gängig. Derartige Ausführungen aus dichtem Korbgeflecht und Holz stammen oft aus dem 17. Jahrhundert. Weit aufwändigere Konstruktionen, die vom Kutschenbau inspiriert waren und mit viel Metall und dekorativen Korbverzierungen auskamen, gab es häufiger in Adelskreisen des 18. Jahrhunderts. Hier hatte man oft auch an die Bequemlichkeit gedacht und große Räder sowie lange Deichseln verwendet, so dass die Kinderwagen eine angenehme Höhe erreichten. Für den Adel wurden auch die ersten, fast schon sportlich und leichtgängig wirkenden Konstruktionen mit Schiebevorrichtung gebaut, wie etwa beim Kummet-Wägelchen von 1730 für die Kinder des Duke of Devonshire.
In den 50er Jahren waren Kinderwagen oft, wie beim Saxonia-Modell von 1953, vom Automobildesign inspiriert
War es einst der Kutschenbau, der einen Anhaltspunkt für den Kinderwagenbau bot, so wirkte in den 50er Jahren der Automobil,- und Motorradbau inspirierend. So kamen Schutzbleche für die Räder, verchromte Stoßstangen, Scheibenräder, Verdeckführungen wie beim Cabriolets-Verdeck und etliche andere automobile Details in Mode. Vor allem verchromte Elemente, geschwungen barocke Linien oder die Pontonform spielten in den 50er Jahren, wie beim Automobil, eine wichtige Rolle. Der Wagenkörper des Saxonia war sehr bauchig gehalten und recht tief gelagert, was damals oft vorkam. Er bestand aus Preßpappe, die man lackiert und verziert hatte. Eine Stahlfederkonstruktion, die den Wagenkörper abfederte, sorgte für einen angenehmen Fahrkomfort des Kleinkindes.
Fotos & Text: Marina Block