NSUs berühmter Chefkonstrukteur Albert Roder verließ 1938 dieses Unternehmen für eine „Stippvisite“ beim traditionsreichen Fahrrad,- und Motorradhersteller Victoria in Nürnberg bevor er dann 1946 wieder zu NSU zurückkehrte und dort weiter für exzellente Konstruktionen (Fox, Lux, Max, Quickly etc.) verantwortlich zeichnete. Als er bei Victoria war, entwarf er dort den sehr geschätzten und für seine Größe von 38 ccm Hubraum ziemlich leistungsstarken Hilfsmotor FM 38, der in der Nachkriegszeit überaus erfolgreich werden sollte und bis 1954 in 40000 Exemplaren gebaut wurde
Roders kleiner Hilfsmotor war ein zuverlässig arbeitender Einzylinder-Zweitakter mit fliegend gelagertem Pleuel, Drehschiebereinlaß, Doppelkupplungsgetriebe, 38 ccm Hubraum und einem PS Leistung. Man konnte ihn an das Hinterrad jeglichen Fahrrads anbauen. Die Kraftübertragung von der Kurbelwelle auf die Getriebewelle erfolgte über Zahnräder. Beim Doppelkupplungsgetriebe mussten keine Zahnräder verschoben werden, weil die Räder ständig im Eingriff standen. Es bestand im Prinzip aus zwei Teilgetrieben mit je einer Kupplung. Während in einem Gang gefahren wurde, war der andere Gang schon voreingelegt, ruhte aber noch. Öffnete sich dann die zuständige Kupplung, wurde der andere Gang aktiviert. Das Signal dafür gab der Fahrer über einen Hebel am Lenker. Der 3 l fassende Tank befand sich zwischen Gepäckträger und Schutzblech. Roder hatte die Motorposition an der Hinterradnabe gewählt, um die einfach ausgelegten Fahrradrahmen möglichst nicht zu stark zu belasten. Das gelang nicht immer, denn für manche Fahrradrahmen war der FM 38 auf Dauer zu stark. So entwickelte man bei Victoria sehr schnell einen verstärkten Fahrradrahmen, der den Motor auch bei häufigem Einsatz gut verkraftete. Dieses Fahrrad erhielt später dann den Namen Vicky I.
Zusammen mit dem Rex-Hilfsmotor war der Victoria FM 38 im Jahr 1946 einer der ersten Hilfsmotoren für Fahrräder, der hier so kurz nach dem Krieg zu kaufen war
Der FM 38 war nicht nur einer der am frühsten verfügbaren kleinen Hilfsmotoren, sondern auch sehr gut konstruiert und überaus zuverlässig, so dass von ihm bis zu seinem Produktionsende um 1954 gut 40000 Exemplare produziert wurden. Vom Grundsatz her war ein Fahrrad mit Hilfsmotor damals ein aus der Not geborenes, billiges und genügsames Gefährt, das vielen überhaupt erst den Einstieg in die Motorisierung ermöglichte, denn kurz nach dem zweiten Weltkrieg gab es keine günstigere Möglichkeit einer unabhängigen, motorisierten Fortbewegung. Immer zu Krisenzeiten, wenn Geld und Material knapp waren, tauchten Hilfsmotoren für die Sicherung der Mobilität auf. So gab es einen Boom an Fahrradhilfsmotoren in den 20er und 30er Jahren, die für die meisten ja keineswegs „golden“ waren, und den nächsten Boom dann direkt nach dem zweiten Weltkrieg.
Großes Aufsehen erregte der FM 38 als Georg Dotterweich, der Konstrukteur bei Victoria war, auf einem Victoria-Fahrrad mit getuntem FM 38-Motor 1951 den Weltrekord in seiner Klasse brach. Diese Werbung war für die Verbreitung des Fahrradhilfsmotors und für die Vicky-Mopedmodelle der 50er Jahre, die diesen Motor trugen, natürlich unbezahlbar
An dem Motor wurden die Überströmkanäle, der Kolben, der Vergaser und die Verdichtung geändert. So erreichte er nun die doppelte Leistung. Auch das Fahrrad wurde windschnittig mit Alublech verkleidet und der Rahmen präpariert. Derartig ausgestattet fuhr Dotterweich in einem „strömungsgünstigen“ Anzug aus Weich-PVC am 12. April 1951 auf der Autobahn München-Ingolstadt mit einem Durchschnittswert von 79 km/h den Weltrekord in der Klasse bis 50 ccm ein.
Fotos & Text: Marina Block
Technische Daten
Motor: Einzylinder-Zweitaktmotor
Hubraum: 38 ccm
B x H: 35 mm x 40 mm
Verdichtung: 6:1
Leistung: 1 PS bei 5100 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 30 km/h
Vergaser: Victoria-Spezialvergaser, schwimmerlos
Zündung: Schwungrad-Lichtmagnetzünder
Gemisch: 1:25
Starterart: Pedalstart
Getriebe: Zweiganggetriebe
Kupplung: Doppelkupplung
Rahmen: Rohrrahmen, verstärkt
Vorderradfederung: keine
Hinterradfederung: keine
Bremse vorn: Felgenbremse
Bremse hinten: Nabenbremse
Verbrauch: 1,4 l auf 100 km
Tankinhalt: 3 l
Gewicht: 11,5 kg (Motor mit Tank), ca. 30 kg zusammen mit Fahrrad
Preis: 270 DM für Motor, um 480 DM komplett mit Fahrrad
Bauzeit: 1946-1954
Stückzahl: FM 38-Motor- 40000 Ex.