Lagonda - Rapier Typ 10 (1934/36/39)

Der renommierte englische Sportwagenbauer Lagonda aus Staines, der schon vor der letzten Jahrhundertwende vom nach England gezogenen Amerikaner Wilbur Gunn gegründet wurde, brachte 1934 als Ergänzung zu seinen 2, 3 und 4,5 l-Modellen auch einen kleinen Sportwagen mit 1,1 l dohc Triebwerk heraus, der ein Aufsehen erregendes High-Tech-Produkt war und sich von seinen konventionell konstruierten Brüdern deutlich unterschied

Lagonda und der eigens für die Konstruktion des Rapiers (der Begriff bedeutet Degen) angeworbene Ingenieur Timothy Ashcroft hatten den Anspruch, das beste kleine Sportautomobil der Welt zu bauen. Als dieses wurde er dann auch von der englischen Motorpresse enthusiastisch gefeiert.

Sein herausragender Motor, das sehr gut abgestimmte Fahrwerk mit abgestützten und versteiften, vorderen Rahmenhörnern, die hervorragende Straßenlage, seine exzellenten Fahreigenschaften und die bemerkenswert guten Bremsen zeichneten ihn als kleinen Sportwagen der Extraklasse aus

Motoren mit zwei obenliegenden Nockenwellen fand man damals eigentlich nur bei Rennwagen. Der kleine Rapier verfügte über eine derartig aufwendige Ventilsteuerung, was auch Rennfahrer damals für ihn einnahm. Mit 55 PS bei 5400 U/min hatte der Rapier den am höchsten drehenden Motor seiner Zeit. Selbst der 2,3 Liter Alfa Romeo brachte es damals gerademal auf 4900 U/min und auch Bugatti kam in dieser Beziehung an den Lagonda Rapier nicht heran. Und so wundert es kaum, dass selbst Rennfahrer wie Tazio Nuvolari nur Gutes über den Rapier zu berichten hatten. Er meinte damals nach einer Fahrt mit einem aufgeladenen Rapier, er führe sich wie ein kleiner Alfa, was wohl Lob genug war.

Für einen besonderen Fahrkomfort sorgte das von ENV nach Wilson-Patent gebaute Viergang-Planetengetriebe. Es arbeitete mit einer Vorwähleinrichtung für den Schaltvorgang. Der Fahrer stellte den Gang ein, den er als nächstes wählen wollte und trat dann bei Bedarf nur noch das Kupplungspedal. Jeder Gang besaß einen Planetensatz, der durch Bandbremsen geschaltet wurde. Bequem war dieses Getriebe nicht nur im Alltagsverkehr, sondern auch für die Rennfahrer unter den Rapier-Besitzern sehr praktisch. Denn so ein Getriebe ließ sich viel schneller bedienen, da man keine Zeit mit Zwischengas geben verlor. Auch erlaubte es den Händen günstigere „Freizeiten“ vom Schalten. Allerdings neigten die Vorwahlgetriebe dazu, sich im Leerlauf nicht ganz zu lösen. Deshalb hatte Ashcroft beim Rapier eine zusätzliche Kupplung eingebaut, die den Motor im Leerlauf völlig vom Getriebe trennte.

Ein weiteres Highlight waren die Bremsen des Rapier. Die über ein Gestänge aktivierte Vierradbremse von Girling, die wie eine Vierkreisbremse wirkte, galt anno 1934 als die wirksamste Bremse der Welt. Ihre Bremstrommeln besaßen einen Durchmesser von 33 Zentimetern und brachten das Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 50 km/ in nur acht Metern zum Stehen. Bei einem Test stellte man fest, dass diese Bremse das Fahrzeug schneller abbremste als die Erdbeschleunigung.

Produziert wurden bei Lagonda übrigens nur die rolling-chassis vom Rapier. Für die Aufbauten sorgten nach dem persönlichen Gusto der Besitzer zumeist englische Karosseriehäuser. Besonders viele Aufbauten kamen von dem renommierten Blechschneider Abbott aus Farnham in Surrey, der fast 80 Prozent der circa 350 Exemplare einkleidete. Als Supersportwagen hätte der Rapier eigentlich ein Zweisitzer sein müssen. Da die Karossiers aber einen Viersitzer forderten, baute Ashcroft das Fahrgestell länger. Dadurch wurde das Auto natürlich auch schwerer. So war der kleine Rapier eher ein herausragender und sportlicher Reisewagen als ein verkappter Rennwagen.

Es wird behauptet, die Kosten für den exzellenten Rapier hätten die Firma Lagonda überfordert, so dass sie 1935 restrukturiert werden musste

Letztendlich hatte sich Lagonda mit seiner Typenpolitik (zu viele verschiedene Modelle) in eine finanzielle Schieflage gebracht. Als die Firma daraufhin reorganisiert wurde, nahm man den zwar exzellenten aber auch teuren Rapier aus dem Programm. Sein Konstrukteur Timothy Ashcroft übernahm die Rechte, gründete zusammen mit Lagondahändler und Rennfahrer Major William H. Oates und mit dem Geldgeber Neville Brocklebank die Firma Rapier Cars in London und baute ihn bis 1939 weiter. Die meisten Exemplare mit Kompressor etwa stammten von Rapier Cars.

Das abgebildete Exemplar hat eine ganz besondere Geschichte

Das Chassis dieses Rapiers war nämlich ursprünglich das Ausstellungschassis von Lagonda. Ashcroft nahm es dann mit zu Rapier Cars und setzte es dort wieder als Ausstellungschassis ein. Schließlich wurde es verkauft und erhielt eine zweisitzige Aluminiumkarosserie mit Notsitz im Heck. Sie wurde von einem ehemaligen Bristol-Flugzeugingenieur 1939 bei der Karosseriefirma Kingston Garage für den Rapier handgefertigt. Im selben Jahr endete auch die Produktion des kleinen Rapier, der so gut und zuverlässig war, dass der größte Teil heute noch existiert und etliche Exemplare sogar als Alltagsautos im Einsatz sind.

Fotos & Text: Marina Block

Technische Daten

Motor: dohc Reihenvierzylinder

Hubraum: 1104 ccm; (Rennversionen oft 1086 ccm)

B x H: 62,5 mm x 90 mm

Verdichtung: 7,5:1

Leistung: 55 PS bei 5500 U/min

Höchstgeschwindigkeit: 130 km/h; aufgeladen ca. 145 km/h

Kolben: Leichtmetall, schwimmende, hohlgebohrte Kolbenbolzen

Kurbelwelle: großdimensioniert und dreifach gelagert, Weißmetalllager mit Bronzekapseln

Vergaser: 2 SU Gleichdruckvergaser mit je eigenem Benzinzufluß

Zündung: Magnetzündung, Magnet wird zusammen mit Lichtmaschine von Zahnrad angetrieben

Lichtmaschine: 12 Volt

Anlasser: 12 Volt Bendix-Anlaßer

Getriebe: Viergang-Vorwahlgetriebe von E.N.V. nach Wilson-Patent

Kupplung: Einscheiben-Trockenkupplung mit Spezialmechanismus

Kraftübertragung: Hotchkiss Kardanwelle mit öldicht gekapselten Gelenken

Chassis: Pressstahlrahmen mit 6 großdimensionierten Querverbindungen, vorn und hinten gekröpft, im Frontbereich verstärkt

Vorderradaufhängung: geschmiedete Starrachse, Halbelliptikfedern, Hartford-Stoßdämpfer

Hinterradaufhängung: Starrachse als ¾ Schwingachse ausgeführt, Halbelliptikfedern, Hartford-Stoßdämpfer

Bremsen: Girling Halbnaben-Innenbackenbremsen mit 33 cm messenden Trommeln auf alle vier Räder, über Gestänge betätigt

Räder: Speichenräder mit Zentralverschluß und 4.50 x 19“ Dunlop-Bereifung

Radstand: 2539 mm; abgebildetes Ausstellungsmodell 2310 mm

Länge: ca. 3886 mm; abgebildetes Austellungsmodell 3505 mm

Breite: 1524 mm

Spur: 1219 mm

Gewicht: ca. 900 kg

Bauzeit: Lagonda Rapier-1934-1935; Rapier-1935-1939

Stückzahl: insgesamt ca. 350 Ex.


Bilder

Informationen:

MarkeLagonda
ModelRapier Typ 10
Baujahr1934/36/39

Weitere Fahrzeuge