Der damals weltweit größte Motorradbauer NSU erkannte schon früh den sich abzeichnenden Trend zum Motorroller. Daher schloss NSU Anfang der 50er Jahre einen Lizenzvertrag mit der Mailänder Firma Innocenti, die bereits seit mehreren Jahren sehr erfolgreich ihren 1945 von Ingenieur Pierluigi Torre entwickelten Lambretta-Roller baute. Als NSU Lambretta mit erst 125 ccm und später 150 ccm Zweitaktmotor hatte er auch in Deutschland zwischen 1950 und 1956 einen riesigen Erfolg und avancierte zum meistverkauften Motorroller hierzulande
Die Entscheidung, ein vielversprechendes italienisches Produkt nachzubauen, war klug, denn so war es weit günstiger und ging vor allem auch schneller, als eine Eigenkonstruktion zu entwickeln. Mit der Vespa von Piaggio und mit der Lambretta von Innocenti hatte 1946 der unaufhaltsame Siegeszug dieser Fahrzeuggattung um die ganze Welt begonnen. Für Vespa konnte NSU keine Lizenz mehr bekommen, da sie 1949 bereits an Jakob Hoffmann vergeben wurde. Also wich man auf die Lambretta von Ferdinando Innocenti aus, die nicht weniger gelungen und elegant geformt war wie die Vespa von Piaggio.
Der Motorroller wurde als „zivilisiertes“ Zweirad empfunden und gewann in den 50er Jahren immer mehr Anhänger. Er galt in der beginnenden Wirtschaftswunderzeit als annehmbarer Autoersatz, bis man sich den ersehnten Kleinwagen leisten konnte. So wurde er auch als Auto-Scooter oder Autoroller bezeichnet
Eine komfortablere Alternative zum Motorrad war er nicht nur dank seines vor allem von Kleider tragenden Frauen sehr geschätzten, freien Durchstiegs vor der Sitzbank, sondern auch wegen des Schutzes, den die reichhaltige Blechverkleidung vor Schmutz und den Widrigkeiten des Wetters bot. Aber nicht nur das, bald schon avancierte der Roller mit seinen kleinen dicken Rädern zur Manifestation eines Lebensgefühls und zum Kultobjekt einer jugendlichen Subkultur in der Wirtschaftswunderzeit.
Die äußerst aktive NSU-Werbeabteilung mit ihrem Chef Arthur Westrup inszenierte die Lambretta in vielen Printkampagnen als Autoersatz („Autoroller“ war damals ein von NSU geschützter Begriff). Auch die Teilnahme an der Deutschlandfahrt 1950 sorgte für eine enorme Publizität
Ein Damenteam um die Geländerennfahrerin Ilse Thouret trat damals gegen das Vespa-Team von Huschke von Hanstein an, was viel Aufsehen erregte und sowohl der NSU Lambretta als auch der Vespa Sympathien einbrachte. Scharfe Konkurrenten blieben die beiden bis zum Ende der NSU Lambretta-Produktion.
Die Lambretta war gut und durch Langstreckentests auf Gebrauchshärte hin konstruiert. Sie besaß einen tiefen Schwerpunkt und für einen Roller gute Fahreigenschaften. Die Technik wurde von NSU-Chefkonstrukteur Albert Roder noch etwas optimiert. Auch die Ausstattung wurde reichhaltiger und einige Komponenten wurden durch Teile von deutschen Zulieferern ersetzt
Bei der Lambretta lag der gebläsegekühlte Zweitaktmotor vor dem Hinterrad. Der Antrieb des von einer Kurzarmschwinge aufgenommenen Hinterrads erfolgte über eine Kardanwelle samt Kegelrädern. Diese Tatsache wurde von Werbechef Westrup gerne als „autoähnlich“ herausgestellt. Die NSU Lambretta bekam eine Magura-Schaltung und einen Vergaser von Bing. Die Elektrik stammte von Noris und Hella. 1952 kam eine Luxusversion mit Zweifarbenlackierung, Stoßstange am vorderen Schutzblech und elektrischem Parklicht heraus und 1954 wurde der Motor auf 150 ccm vergrößert. Laut einer Statistik kamen die meisten Käufer einer NSU Lambretta aus Industrie, Handel und Handwerk, waren Freiberufler oder Angestellte.
Fotos & Text: Marina Block
Technische Daten
Motor: Einzylinder-Zweitaktmotor, gebläsegekühlt
Hubraum: 123 ccm
B x H: 52 x 58 mm
Verdichtung: 6:1
Leistung: 5,1 PS bei 5200 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 75 km/h
Vergaser: Bing-Einschiebervergaser
Zündung: Noris-Schwungmagnetzündung
Elektrik: 6 V 30 W
Getriebe: Dreiganggetriebe, Drehgriffschaltung
Kraftübertragung: über Kegelräder und Kardanwelle auf Hinterrad
Rahmen: Zentralrohrrahmen
Vorderradaufhängung: gezogene Kurzschwinge, Schraubenfedern
Hinterradaufhängung: einseitige Kurzschwinge, zwei gekapselte Schraubenfedern
Bremsen: Trommelbremsen vorn und hinten; 98 mm-vorn, 139,5 mm-hinten
Radstand: 1240 mm
Länge: 1740 mm
Reifen: 4,00 x 8“
Gewicht: 95 kg
Tankinhalt: 6 l
Verbrauch: 2,2 l auf 100 km
Preis: 1545 DM-1952
Stückzahl: 117045 Ex. insgesamt
Bauzeit: 1950-1956 (ab 1954 mit 150 ccm)