Motorräder aus dem Hause Wanderer zählten einst zu den Topkonstruktionen im Motorradbau. Sie galten als der schiere Luxus auf Rädern und waren ein Qualitätsprodukt par excellence
Johann Baptist Winkelhofer und Richard Adolf Jaenicke eröffneten zuerst ein Velociped-Depot für Rudge-Hochräder und boten dann ab 1886 ihre eigenen Fahrräder an. Ihre Marke nannten sie „Wanderer“, eine Übersetzung des englischen „Rover“. Damals orientierte sich nämlich die komplette Fahrradindustrie an englischen Vorbildern, da die britische Fahrradindustrie weltweit führend war. 1902 begannen die beiden dann ihre ersten Motorräder und 1905 ihre ersten Automobile zu bauen. 1913 brachten sie mit dem Kleinwagen Wanderer „Puppchen“ einen echter Bestseller auf den Markt.
Durch die Präzision, mit der Fahrräder, Motorräder und Autos dieser Marke gemacht waren, erlangten die Produkte von Wanderer einen ganz besonderen Stellenwert. So zählten auch ihre Motorräder damals zur absoluten Oberliga im Motorradbau. Erwin Tragatsch schrieb dazu:“Bei Wanderer kannte man nur das Beste, nie das Billigste“.
Die kurz nach dem ersten Weltkrieg angebotenen Modelle stellten Weiterentwicklungen der Vorkriegsmodelle dar
Von 1919 bis etwa 1924 hatte Wanderer die Weiterentwicklungen aus der Vorkriegszeit, ein Einzylindermodell und ein V-Zweizylindermodell, im Programm. Das abgebildete Einzylindermodell besaß einen 2 ½ PS-starken Viertaktmotor mit 327 ccm Hubraum und seitlich stehenden Ventilen. Die PS-Angabe bezog sich damals auf die Steuer-PS, in der Realität leistete das Modell etwa 3,5 PS. Der langhubige Motor, der mit einem handgeschalteten (Kulissenschaltung am Tank) Dreiganggetriebe verblockt war, arbeitete mit Magnetzündung und wurde über einen Kickstarter angeworfen. Ausgestattet war das Fahrzeug mit einer kombinierten Hand,- und Fußkupplung. Die Kraftübertragung auf das Hinterrad übernahm ein Riemen. Gegen das Durchrutschen des Riemens bei feuchter Witterung hatte Wanderer die vordere Keilriemenscheibe exzentrisch gelagert, so dass sie während der Fahrt über eine Handkurbel an der Oberseite des Tanks verstellbar war. Eine Riemenweitung konnte damit ausgeglichen werden. Auf Wunsch gab es aber auch eine Kette für den Hinterradantrieb. Allerdings waren Ketten damals wegen ihrer noch mangelnden Qualität und fehlendem Kettenspanner nicht unproblematisch. Sanfter fahren ließ es sich jedenfalls mit dem Keilriemenantrieb. Der Rahmen der Wanderer bestand aus einer stabilen Stahlrohrkonstruktion, in die der Motor nach Vorbild des belgischen Motorrad,- und Waffenproduzenten FN von unten eingehängt wurde. Der fünfeckige Stecktank war geteilt und fungierte als Benzin-, und als Ölreservoir.
Das Hinterrad wurde, wie damals üblich, starr aufgenommen. Wanderer hatte früher zwar schon eine Hinterradfederung verwendet, sie aber wegen mangelnder Stabilität wieder verworfen. Aber auch so war der Fahrkomfort sehr hoch dank der hauseigenen Vorderrad-Federgabel mit Kurzschwinge und dank der aufwändigen Parallelogramm-Federung des Sattels. Durch das vor dem Sattel stark abfallende Rahmenrohr war die Sitzposition zudem schön niedrig. Abgebremst wurde bei der Wanderer nur das Hinterrad, auf das sowohl die Hand,- als auch die Fußbremse einwirkten. Die Qualität des Fahrzeugs zeigte sich auch an liebevoll gemachten Details, wie etwa daran, dass man über ein Schauglas, das den Blick auf einen kleinen Schwimmer im Tank freigab, den Benzinstand von außen ablesen konnte.
Fotos & Text: Marina Block
Technische Daten
Motor: sv Einzylinder-Viertaktmotor
Hubraum: 327 ccm
B x H: 70 mm x 85 mm
Leistung: 3,5 PS bei 3000 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 65 km/h
Zündung: Magnetzündung
Getriebe: Dreiganggetriebe, Kulissenschaltung
Vorderradaufhängung: Federgabel mit Kurzschwinge
Hinterradaufhängung: starr
Bremsen: Hand,- und Fußbremse auf Hinterrad
Gewicht: 110 kg
Bauzeit: 1919-1924