Ein Menschenleben lang auf dem Dachboden
Kaum zu glauben, aber wahr, es gibt wirklich noch echte Schätze auf Dachböden zu entdecken: so wie diese Miele von 1939, die in ihrem Leben nur 25 km gelaufen ist und sich in völligem Originalzustand befindet. Natürlich hat sich in den 75 Jahren auf dem Dachboden ein wenig Patina angesetzt.
Die von 1938 bis 1940 gebaute Miele 720 Herren/H7 mit 98er Fichtel & Sachsmotor war damals ein Verkaufsschlager
Gebaut wurden Miele-Motorfahrräder in Menge und natürlich auch das abgebildete Modell. Das Miele-Motorfahrrad hatte sich bald in seinen verschiedenen Versionen „tausendfach erprobt und glänzend bewährt“ (Werbung), so dass die Miele-Pättkenschnüwer, wie sie auf Plattdeutsch auch genannt wurden (Pättken= schmaler Pfad; schnüwen=schnaufen), sich zigtausendmal verkauften und in den 30er, aber auch in den 40er und 50er Jahren im Umkreis von Bielefeld und sogar weit darüber hinaus immer aktuell blieben. Insgesamt hatte Miele bis zur Einstellung der Zweiradproduktion 1961 über eine halbe Million motorisierte Zweiräder gebaut.
Die 720 Herren/H7 wurde ab 1938 im Rahmen der neueingeführten Klasse 20 gebaut
Dazu zählten die mit Satteltank bestückten Herrenmodelle 420 und 720, das Damenmodell 620 und die Gepäckversionen 220 und 820. Bei der 720 ermöglichte ein schräg nach hinten abfallendes gerade laufendes Rahmenrohr eine noch tiefere Position des Sattels als beim Herrenmodell 420. Für den Export gab es die 720 Herren Ende der 30er Jahre unter der Bezeichnung H5 mit Kickstarter.
Einen 98er Fichtel & Sachs-Zweitaktmotor mit 2,25 PS verwendete Miele bereits ab 1934 für seine Motorfahrräder und blieb ihm und seinen Weiterentwicklungen bis in die 50er Jahre hinein treu. Schließlich war gerade dieser Motor damals einer der populärsten Motoren für Motorfahrräder überhaupt und der Betrieb mit Pedale besonders begehrt, weil die Leute das vom Fahrrad her kannten. Mit Kickstarter gingen weit weniger in den Verkauf. Der Motor brachte genug Leistung, ließ die Miele nicht zum Verkehrshindernis werden und machte sie auch in der Version als Lastenrad zu einem begehrten Transportmittel. Vor allem aber war dieser Motor enorm zuverläßig und unverwüstlich, obwohl er eigentlich schon als etwas veraltet galt, da er nicht mit der Schnürle-Umkehrspülung arbeitete und noch einen Nasenkolben besaß.
Die abgebildete Miele ist etwas ganz Besonderes
Zwar zeigt sich an ihr der Alterungsprozeß deutlich, doch ihre Originalität ist Gold wert, denn alles an ihr blieb erhalten, wie 1939 bei ihrer Auslieferung. Die feine Linierung, die originalen Firmen-Schriftzüge oder auch die Bowdenzüge sind noch die alten wie vor 75 Jahren. Gerade an solchen Feinheiten merkt man schnell, ob an einem Exemplar bereits gearbeitet wurde oder nicht. An der Befestigung der Bowdenzüge, dem Anschluß der Batterie, der Form des vorderen Nummernschildes, der Feinheit der Linierung oder anderen Details lassen sich oft deutliche Unterschiede zu restaurierten Exemplaren erkennen.
Fotos & Text: Marina Block